Acrylamid - alles erledigt?


Alfeld, den 13.11.2003:

Zunächst ist festzustellen, dass es sich bei Acrylamid nicht um einen Lebensmittelskandal handelt, zum Beispiel wie bei BSE oder Hormonen in Kalbfleisch. Acrylamid entsteht bei der Herstellung von etlichen pflanzlichen Lebensmitteln, und zwar auch bei den haushaltsüblichen Zubereitungen (wie beim Grillen oder Braten).

Wie entsteht Acrylamid?

Unmittelbar nach Bekanntwerden der Acrylamid-Problematik wurden in Deutschland mehrere Forschungsgruppen aktiv, die bereits sehr konkrete Ergebnisse vorweisen können. Dazu gehört auch der Mechanismus, wie Acrylamid in Lebensmitteln entsteht:
Acrylamid bildet sich aus reduzierenden Zuckern (z. B. Glucose oder Fructose) und der Aminosäure Asparagin bei Hitzeeinwirkung über 80 °C und gleichzeitiger geringer Wasserverfügbarkeit. Es sind also Gartechniken betroffen mit hoher Hitze und trockener Erhitzung (z. B. Grillen, Braten, Backen, Rösten und Toasten). Auch die aus geschmacklichen Gründen positiv zu bewertende Maillard-Reaktion ist ein Vorgang, bei dem sich viel Acrylamid bildet.

In welchen Backwaren ist Acrylamid?

Es ist nicht zu vermeiden, dass in Backwaren auch Acrylamid in mehr oder weniger hoher Konzentration vorkommt. Ohne dass der Backwarencharakter verloren geht (z. B. durch Verzicht auf Temperaturen über 80 °C beim Garen) käme noch ein Vermeiden von Asparaginsäure in Betracht (z. B. durch Einsatz des Enzyms Asparaginase). Dies ist jedoch wirtschaftlich und technologisch nicht durchführbar.

Ein nennenswerter Anteil an Acrylamid ist in dunklen Krusten von Broten, in Knäckebrot, in zuckerreichen Kuchen (wie Honigkuchen) und Diätbackwaren mit Fructose (Diabetikerbackwaren).

Wie gefährlich ist Acrylamid?

In Schweden hatte man bei Baufacharbeitern, die Acrylamid als Dichtungsmittel im Tunnelbau verarbeiteten, hohe Acrylamidwerte im Blut festgestellt. Die Arbeiter litten auch an schweren Nervenerkrankungen (z. B. Lähmungen). Diese Toxidität von Acrylamid war schon längere Zeit bekannt. Die schwedischen Forschungen erstreckten sich dann auch auf eine mögliche cancerogene Wirkung. Diese wurde in Tierversuchen nachgewiesen.

Aufgrund der heute vorliegenden Ergebnisse geht man davon aus, dass Acrylamid nervengiftig ist (Schwellenwert 500 μg/kg Körpergewicht), Krebs erregend ist (Schwellenwert 100 μg/kg Körpergewicht) und erbgutschädigend ist (ohne Schwellenwert).

Die tägliche Aufnahmemenge liegt bei 0,3 bis 0,8 μg/kg Körpergewicht. Allerdings unterliegen diese Werte sehr stark der Lebensführung und den Ernährungsgewohnheiten. Bei Rauchern hat man beispielsweise sehr hohe Acrylamidwerte im Blut vorgefunden. Auch Jugendliche sind eine Risikogruppe. Wahrscheinlich im Zusammenhang mit den Ernährungsgewohnheiten gelten für sie 3 bis 4 μg/kg Körpergewicht als tägliche Acrylamid-Aufnahmemenge.

Das zuständige Bundesministerium BMVEL hat zur Verringerung von Risiken ein Minimierungskonzept für Acrylamid in Lebensmitteln erstellt. Darin sind u. a. Signalwerte für Acrylamidgehalte festgelegt. Diese Werte sind keine Schwellenwerte, oberhalb derer eine Gesundheitsgefahr besteht. Es sind vielmehr Durchschnittswerte, die anzustreben sind. Durch technologische Maßnahmen sind Acrylamidgehalte zu vermindern. So ist beispielsweise durch Verringerung der Backzeit oder Reduzierung der Backtemperatur in Broten ein bis zu 50 % geringerer Acrylamidwert erzielt worden. Auch bei Knäckebroten wurde durch Verwendung anderer Streu-Trennmittel eine deutliche Verringerung von Acrylamid erreicht.

Was sollte man den Kunden zur Acrylamid-Problematik sagen?

Das Problem sollte keinesfalls verharmlost werden. Aber: Die Gefahr, durch Acrylamid an Krebs zu erkranken, ist deutlich geringer als bei anderen cancerogen-wirkenden Substanzen (z. B. Teer im Rauch, Benzpyren und Nitrosamin bei Grillerzeugnissen). Die Kunden können ohne Bedenken weiterhin Brot und Gebäck genießen in den sonst üblichen Verzehrsmengen. Auch das Abschneiden der Brotkruste ist nicht nötig.

In diesem Zusammenhang ist darauf zu verweisen, dass durch die Aufnahme von Rauch aus Tabakerzeugnissen eher ein erhöhtes Krebsrisiko besteht.
 
 zurück